Donnerstag, 21. Juni 2012

Interview mit Rhys Ifans zu THE AMAZING SPIDERMAN

1999 hatte der Waliser Ifans mit seinem Porträt des schrägen Mitbewohners Spike seinen Durchbruch in „Notting Hill“ an der Seite von Hugh Grant und Julia Roberts.
Seitdem spielt der versierte Theaterschauspieler in vorderster Reihe in Hollywood mit. Ob an der Seite von Harry Potter oder als Hauptperson in Roland Emmerichs vielbeachteter Shakespeare-Enthüllungsstory „Anonymous“ Demnächst spielt er in der HBO-Serie „Die Korrekturen“ nach dem Roman von Jonathan Franzen. Sein Charakter in der neuen Spiderman-Verfilmung ist Dr Curt Connors, ein versierter Wissenschaftler, dessen Streben nach Vollkommenheit tragisch endet.

Frage: Hätten Sie die Wahl gehabt zwischen allen Rollen im Film zu wählen, welche Rolle hätten Sie am liebsten gespielt?

Rhys Ifans: Oh, ich hätte natürlich mich für Dr. Connors entschieden. Von allen Bösewichten bei Spiderman ist er wohl der Komplizierteste, der Menschlichste. Und er hat diese sehr wichtige emotionale Verbindung mit Peter Parker. Er kannte dessen Vater gut und er weiß wohl die Antworten auf all die Fragen, die Peter umtreiben, seit dessen Eltern auf dramatische Weise verschwanden. Und vor allem: Die wissenschaftliche Forschung an der er arbeitet, Cross Species Genetics, ist dieselbe Forschung, die Pater Parker zu Spiderman werden lässt. In einem gewissen Sinne ist einer von beiden also der Nutznießer dieser Forschung, der andere ihr Opfer, nämlich Dr. Connors

Frage: Wie haben Sie Ihren Charakter angelegt?

Nun, in den Comics ist Connors ein netter Wissenschaftler mit guten Absichten, wenn auch ein bisschen schräg. Ich wollte also von vornherein keinesfalls einen klassisch-verrückten Wissenschaftler spielen. Ich finde es wichtig, dass das Publikum den Kerl mag und mitfühlt. Er hat nur einen Arm, er möchte seinen verlorenen Arm zurückbilden. Und sollte er das mit Hilfe seiner Forschung erreichen würde das auch der ganzen Welt zur Wohltat gereichen. Jeden tag sehen wir junge Menschen in Kriegsgebieten, die verkrüppelt wurden oder Opfer wurden von Landminen. Was er also erreichen will, hat wirklich großes Potential. Ich wollte ihn also so spielen, dass die Leute solange wie möglich auf seiner Seite sind. Sogar als der Konzern, Oscorp beabsichtigt, unerlaubt mit nichtsahnenden Probanden Test durchzuführen und Connors aus ehrlichen moralisch-ethischen Gründen deshalb sich dafür entscheidet seine eigene Laborratte zu werden. Die Konsequenzen, die Resultate sind tragisch. Bis dahin aber sollte das Publikum auf seiner Seite sein. Und wenn das über so eine lange Dauer innerhalb der Geschichte funktioniert, dann besteht die Möglichkeit, dass wir alle erkennen: Auch in uns schlummert dieses Echsen-Potential, dieses Monster, wenn wir nicht wachsam sind.

Frage: Haben Sie dabei auf die alten Comics zurückgegriffen? Ihre Figur taucht ja schon Mitte der sechziger Jahre dort auf.


Rhys Ifans: Nein, nicht besonders. In einigen von ihnen ist Connors von Anfang an böse. Das wollte ich nicht. Ich wollte jemanden darstellen, der intelligent, clever und gut drauf ist. Gut, später wird er wahnsinnig, aber eben nicht sofort. Und da ist noch ein anderes Detail. Wenn er zum Reptil wird, will er Peter/Spiderman loswerden. Aber da ist so etwas wie ein Schuldbewusstsein, wenn er wieder Mensch wird. Und da gibt es eine große Scham gegenüber Peter, die in diesem Film nicht näher erklärt wird, offensichtlich weiß er wohl sehr gut, was mit Peters Vater passiert ist und er ist mit verwickelt in die Umstände seines Verschwindens. Das wollte ich unbedingt zeigen.

Frage: Er ist also ein bisschen Dr. Jekyll und Mr. Hyde?

Rhys Ifans:
Ja! Ein Klassiker, etwas, was in der Mythologie immer wieder passiert. Das ist diese fortdauernde Anziehungskraft der Superheldengeschichten. Und was Amerika hier so clever durchzieht: Es nimmt griechische und keltische Mythologie und überträgt sie sehr eloquent in die moderne Welt. Und all diese Themen, die da anklingen in den Superhelden-Comics sind alles archetypische Themen. Deshalb werden diese Geschichten so oft wiederholt und neu erzählt, weil sie jeder neuen Generation etwas bieten. Genauso wird Hamlet jedes Jahr in jeder Stadt neu aufgeführt. Auch das ist eine Geschichte über das Heranwachsen und auch in Hamlet geht es um einen Jungen, der sich fragt, was wohl mit seinem Vater passiert ist. Dasselbe geschieht Peter Parker. Ich habe überhaupt kein Problem damit, dass solche Stoffe erneut verfilmt werden. Jeder große Rock-Song ist immer und immer wieder neu aufgenommen worden. Einfach, weil es tolle Songs sind.

Frage: Was ist denn Ihre größte Schwäche?

Rhys Ifans: Ich rauche zuviel!

Frage: Haben Sie das mal versucht aufzugeben?

Rhys Ifans: Nein, noch nicht. … Noch keine Zeit dazu!

Frage: Sie haben geübt, einarmig zu sein?

Rhys Ifans: Ja, bevor wir angefangen haben zu drehen. I sprach mit einer ganzen Reihe von Amputierten, vor allem natürlich mit solchen, die ihren Arm verloren haben. Sie beschrieben es als hochtraumatisch, physisch wie psychisch. Was am beeindruckendsten ist, wie schnell, wenn die Verletzung abgeheilt ist, sich diese Menschen daran gewöhnen damit umzugehen. Wie sie lernen, in einer zweihändigen Welt zu leben. Das führt sogar zu einer Art Selbstbestätigung bis hin zu einem Party-Trick, was man alles so kann mit nur einer Hand. Ich selbst habe gelernt, eine Krawatte zu binden mit nur einer Hand. Echt! Aber mit Dr Connors ist das anders. Er sieht es als Schwäche. Und da er an vorderster Stelle innerhalb seines Forschungsfeld steht, trägt er keine Prothese. Moderne Prothesen sind selbst in unserem Universum inzwischen so technisch ausgereift, dass man die künstlichen Finger einer Hand mit kleinsten Bewegungen des Stumpfs kontrollieren kann. Aber Connors lehnt eine technische Lösung ab, er will eine biologische. So verweigert er sich einer Prothese. Er will seinen verstümmelten Arm als ständige Erinnerung und Motivation für sich und alle, die mit ihm arbeiten.

Frage: Was ist denn besonders schwierig für einen Einarmigen?

Rhys Ifans: Applaus

Frage: Hatten Sie bei den Actionszenen ein Stunt-Double?

Rhys Ifans: Nein, nein, nein! Ich war da, für jede Szene. Meistens jedenfalls. An einem tag kam ich auf den Set und sah einen Mann meine Rolle spielen und ich sagte zum regisseur: Nein! So bewegt sich der Charakter doch überhaupt nicht! So machte ich es also selbst. Dann musste ich aber auch jeden Tag ran.

Frage: Wie viel von Ihnen steckt im CGI-Charakter?

Rhys Ifans: Bei der Motion Capture-Technik alten Stils wurden Dir sieben oder acht Marker ins Gesicht geklebt um die Mimik, die Muskelbewegungen zu registrieren. Heute ist die Technik so ausgefeilt, dass ich bis zu dreitausend Marker im Gesicht hatte. Sie sprayen dein Gesicht regelrecht ein und du hast da plötzlich tausende von ultravioletten Punkten. Wenn ich damit in einem Club zum Tanzen gegangen wäre, ich wäre der Star gewesen. Ich wollte unbedingt damit mal ausgehen! Und ich habe jetzt vor zwei, drei Wochen den Film zum ersten mal gesehen und es hat mich umgehauen. Als ich die Echse in all der computeranimierten Glorie zu sehen bekam, entdeckte ich soviel Menschliches in ihr. Und wenn man dann merkt, dass dieses Menschliche man selber ist, das geht an die Nieren.

Frage: Mochten Sie das Monster in Ihnen?

Rhys Ifans: Ja!

Frage: Sie würden nicht lieber ein Rächer werden?

Rhys Ifans: Na, es ist schon schön, wenn man Taxis über Brücken werfen kann.

Frage: War es denn dann ein großer Unterschied, den Doktor und die Echse zu spielen? Oder war das insgesamt nicht dann das Gleiche?

Rhys Ifans: Es ist natürlich ein großer Unterschied, aber wenn man mal die Maskerade der Echse wegnimmt, was bleibt denn dann. Ein Mann, der seinen Verstand verliert. Und das fand ich eine Herausforderung. Die Echse ist nichts anderes als ein Symbol für den moralischen Kollaps eines menschlichen Wesens.

Frage: Aber man bewegt sich schon anders, oder?

Rhys Ifans: Natürlich sind die Bewegungen unterschiedlich. Wenn Du einen Raum verlässt und du hast einen drei Meter langen Schwanz, dann tust Du das sehr vorsichtig ... oder man stößt Möbel um oder verletzt Leute.

Frage: In einem besonders bewegenden Moment des Films sehen wir den Mann, der wirklich diese Charaktere vor fünfzig Jahren erschuf. Hatten Sie eine Chance mit ihm über Ihre Figur zu reden?

Rhys Ifans: Stan Lee! I war so nervös! Stan Lee ist Gott! Ohne Stan Lee gäbe es keine Echsen. Also trifft man doch da seinen eigenen Schöpfer. Christen versuchen das nun schon seit etlichen Jahrhunderten. Es war also sehr episch für mich! Oh Gott!, Gott trägt eine Brille! Sowas! Er kam zu mir und hatte bereits ein paar Ausschnitte gesehen und an diesem Tag war ich gerade geschminkt als Halb-Mensch/Halb-Echse. Er kam herein und sagte nur „Gute Arbeit!“ Und dann erschien dieses gleißende grüne Licht im Himmel und ich wusste alles wird gut! Nein, es hat ihm sehr gefallen. Und ich mag die Szene, in der er zu sehen ist. Er erscheint ja in jedem dieser Filme in einer Cameo-Rolle. Aber seine Erlaubnis weiterzumachen war wirklich sehr wichtig für mich!

Frage: Die Spiderman Comics sind seit fünfzig Jahren hocherfolgreich, was man nicht von allen anderen Superheldencomics behaupten kann. Haben Sie eine Erklärung dafür?

Rhys Ifans: Ja, habe ich! Sehen Sie, Batman ist ein Millionär, der in einer Villa auf einem Hügel lebt, er hat Bedienstete und eine sehr merkwürdige Beziehung zu einem Jungen namens Robin. Unser Leben läuft nicht so. Sowohl finanziell wie auch sexuell... Und Superman ist ja mehr eine Gottheit, ein Mann von einem anderen Stern. Spiderman geht zur Schule. Spiderman verliebt sich zum ersten Mal. Peter Parker hat genau so viel Angst vor und genauso viele Fragen an die Zukunft und daran wie man ein Mann wird, wie jeder andere Junge auch. Ich denke, das macht es aus! Peter Parker ist ein Mittelstandsheld. So finden sich fast alle in ihm wieder. Und seine Superheldenkräfte sind fast so etwas wie Metaphern für das Überwinden der Teenager-Ängste.

Frage: Konnten Sie Ihrer Figur selbst etwas mitgeben oder war alles vorgegeben?

Rhys Ifans: Doch. Das kann man. Auf einem sehr unterschwelligen Level. Ich habe in mir selbst ein paar sehr schwierige Plätze aufgesucht im emotionalen Bereich. Da ist eine Wut in Dr. Connors, die uns darauf hinweist, dass ich, dass wir alle potentielle Reptilien sind in unserer eigenen Kaltblütigkeit. Die Echse verkörpert dies. Da gibt es eine Seite in unserer menschlichen Natur, die ist sehr, sehr hässlich. Und diese Seite gebiert Diktatoren und beginnt Kriege, ist gewalttätig. Und vor dieser Seite sollten wir alle immer auf der Hut sein.

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