1999 hatte der Waliser Ifans mit seinem
Porträt des schrägen Mitbewohners Spike seinen Durchbruch in
„Notting Hill“ an der Seite von Hugh Grant und Julia Roberts.
Seitdem spielt der versierte
Theaterschauspieler in vorderster Reihe in Hollywood mit. Ob an der
Seite von Harry Potter oder als Hauptperson in Roland Emmerichs
vielbeachteter Shakespeare-Enthüllungsstory „Anonymous“
Demnächst spielt er in der HBO-Serie „Die Korrekturen“ nach dem
Roman von Jonathan Franzen. Sein Charakter in der neuen
Spiderman-Verfilmung ist Dr Curt Connors, ein versierter
Wissenschaftler, dessen Streben nach Vollkommenheit tragisch endet.
Frage: Hätten Sie die Wahl gehabt
zwischen allen Rollen im Film zu wählen, welche Rolle hätten Sie am
liebsten gespielt?
Rhys Ifans: Oh, ich hätte natürlich
mich für Dr. Connors entschieden. Von allen Bösewichten bei
Spiderman ist er wohl der Komplizierteste, der Menschlichste. Und er
hat diese sehr wichtige emotionale Verbindung mit Peter Parker. Er
kannte dessen Vater gut und er weiß wohl die Antworten auf all die
Fragen, die Peter umtreiben, seit dessen Eltern auf dramatische Weise
verschwanden. Und vor allem: Die wissenschaftliche Forschung an der
er arbeitet, Cross Species Genetics, ist dieselbe Forschung, die
Pater Parker zu Spiderman werden lässt. In einem gewissen Sinne ist
einer von beiden also der Nutznießer dieser Forschung, der andere
ihr Opfer, nämlich Dr. Connors
Frage: Wie haben Sie Ihren Charakter
angelegt?
Nun, in den Comics ist Connors ein
netter Wissenschaftler mit guten Absichten, wenn auch ein bisschen
schräg. Ich wollte also von vornherein keinesfalls einen
klassisch-verrückten Wissenschaftler spielen. Ich finde es wichtig,
dass das Publikum den Kerl mag und mitfühlt. Er hat nur einen Arm,
er möchte seinen verlorenen Arm zurückbilden. Und sollte er das mit
Hilfe seiner Forschung erreichen würde das auch der ganzen Welt zur
Wohltat gereichen. Jeden tag sehen wir junge Menschen in
Kriegsgebieten, die verkrüppelt wurden oder Opfer wurden von
Landminen. Was er also erreichen will, hat wirklich großes
Potential. Ich wollte ihn also so spielen, dass die Leute solange wie
möglich auf seiner Seite sind. Sogar als der Konzern, Oscorp
beabsichtigt, unerlaubt mit nichtsahnenden Probanden Test
durchzuführen und Connors aus ehrlichen moralisch-ethischen Gründen
deshalb sich dafür entscheidet seine eigene Laborratte zu werden.
Die Konsequenzen, die Resultate sind tragisch. Bis dahin aber sollte
das Publikum auf seiner Seite sein. Und wenn das über so eine lange
Dauer innerhalb der Geschichte funktioniert, dann besteht die
Möglichkeit, dass wir alle erkennen: Auch in uns schlummert dieses
Echsen-Potential, dieses Monster, wenn wir nicht wachsam sind.
Frage: Haben Sie dabei auf die alten
Comics zurückgegriffen? Ihre Figur taucht ja schon Mitte der
sechziger Jahre dort auf.
Rhys Ifans: Nein, nicht besonders. In
einigen von ihnen ist Connors von Anfang an böse. Das wollte ich
nicht. Ich wollte jemanden darstellen, der intelligent, clever und
gut drauf ist. Gut, später wird er wahnsinnig, aber eben nicht
sofort. Und da ist noch ein anderes Detail. Wenn er zum Reptil wird,
will er Peter/Spiderman loswerden. Aber da ist so etwas wie ein
Schuldbewusstsein, wenn er wieder Mensch wird. Und da gibt es eine
große Scham gegenüber Peter, die in diesem Film nicht näher
erklärt wird, offensichtlich weiß er wohl sehr gut, was mit Peters
Vater passiert ist und er ist mit verwickelt in die Umstände seines
Verschwindens. Das wollte ich unbedingt zeigen.
Frage: Er ist also ein bisschen Dr.
Jekyll und Mr. Hyde?
Rhys Ifans:
Ja! Ein
Klassiker, etwas, was in der Mythologie immer wieder passiert. Das
ist diese fortdauernde Anziehungskraft der Superheldengeschichten.
Und was Amerika hier so clever durchzieht: Es nimmt griechische und
keltische Mythologie und überträgt sie sehr eloquent in die moderne
Welt. Und all diese Themen, die da anklingen in den
Superhelden-Comics sind alles archetypische Themen. Deshalb werden
diese Geschichten so oft wiederholt und neu erzählt, weil sie jeder
neuen Generation etwas bieten. Genauso wird Hamlet jedes Jahr in
jeder Stadt neu aufgeführt. Auch das ist eine Geschichte über das
Heranwachsen und auch in Hamlet geht es um einen Jungen, der sich
fragt, was wohl mit seinem Vater passiert ist. Dasselbe geschieht
Peter Parker. Ich habe überhaupt kein Problem damit, dass solche
Stoffe erneut verfilmt werden. Jeder große Rock-Song ist immer und
immer wieder neu aufgenommen worden. Einfach, weil es tolle Songs
sind.
Frage: Was ist denn Ihre größte
Schwäche?
Rhys Ifans: Ich rauche zuviel!
Frage: Haben Sie das mal versucht
aufzugeben?
Rhys Ifans: Nein, noch nicht. … Noch
keine Zeit dazu!
Frage: Sie haben geübt, einarmig zu
sein?
Rhys Ifans: Ja, bevor wir angefangen
haben zu drehen. I sprach mit einer ganzen Reihe von Amputierten, vor
allem natürlich mit solchen, die ihren Arm verloren haben. Sie
beschrieben es als hochtraumatisch, physisch wie psychisch. Was am
beeindruckendsten ist, wie schnell, wenn die Verletzung abgeheilt
ist, sich diese Menschen daran gewöhnen damit umzugehen. Wie sie
lernen, in einer zweihändigen Welt zu leben. Das führt sogar zu
einer Art Selbstbestätigung bis hin zu einem Party-Trick, was man
alles so kann mit nur einer Hand. Ich selbst habe gelernt, eine
Krawatte zu binden mit nur einer Hand. Echt! Aber
mit Dr Connors ist das anders. Er sieht es als Schwäche. Und
da er an vorderster Stelle innerhalb seines Forschungsfeld steht,
trägt er keine Prothese. Moderne Prothesen sind selbst in unserem
Universum inzwischen so technisch ausgereift, dass man die
künstlichen Finger einer Hand mit kleinsten Bewegungen des Stumpfs
kontrollieren kann. Aber Connors lehnt eine technische Lösung ab, er
will eine biologische. So verweigert er sich einer Prothese. Er will
seinen verstümmelten Arm als ständige Erinnerung und Motivation für
sich und alle, die mit ihm arbeiten.
Frage: Was ist denn besonders schwierig
für einen Einarmigen?
Rhys Ifans: Applaus
Frage: Hatten Sie bei den Actionszenen
ein Stunt-Double?
Rhys Ifans: Nein, nein, nein! Ich war
da, für jede Szene. Meistens jedenfalls. An einem tag kam ich auf
den Set und sah einen Mann meine Rolle spielen und ich sagte zum
regisseur: Nein! So bewegt sich der Charakter doch überhaupt nicht!
So machte ich es also selbst. Dann musste ich aber auch jeden Tag
ran.
Frage: Wie viel von Ihnen steckt im
CGI-Charakter?
Rhys Ifans: Bei der Motion
Capture-Technik alten Stils wurden Dir sieben oder acht Marker ins
Gesicht geklebt um die Mimik, die Muskelbewegungen zu registrieren.
Heute ist die Technik so ausgefeilt, dass ich bis zu dreitausend
Marker im Gesicht hatte. Sie sprayen dein Gesicht regelrecht ein und
du hast da plötzlich tausende von ultravioletten Punkten. Wenn ich
damit in einem Club zum Tanzen gegangen wäre, ich wäre der Star
gewesen. Ich wollte unbedingt damit mal ausgehen! Und ich habe jetzt
vor zwei, drei Wochen den Film zum ersten mal gesehen und es hat mich
umgehauen. Als ich die Echse in all der computeranimierten Glorie zu
sehen bekam, entdeckte ich soviel Menschliches in ihr. Und wenn man
dann merkt, dass dieses Menschliche man selber ist, das geht an die
Nieren.
Frage: Mochten Sie das Monster in
Ihnen?
Rhys Ifans: Ja!
Frage: Sie würden nicht lieber ein
Rächer werden?
Rhys Ifans: Na, es ist schon schön,
wenn man Taxis über Brücken werfen kann.
Frage: War es denn dann ein großer
Unterschied, den Doktor und die Echse zu spielen? Oder war das
insgesamt nicht dann das Gleiche?
Rhys Ifans: Es ist natürlich ein
großer Unterschied, aber wenn man mal die Maskerade der Echse
wegnimmt, was bleibt denn dann. Ein Mann, der seinen Verstand
verliert. Und das fand ich eine Herausforderung. Die Echse ist nichts
anderes als ein Symbol für den moralischen Kollaps eines
menschlichen Wesens.
Frage: Aber man bewegt sich schon
anders, oder?
Rhys Ifans: Natürlich sind die
Bewegungen unterschiedlich. Wenn Du einen Raum verlässt und du hast
einen drei Meter langen Schwanz, dann tust Du das sehr vorsichtig ...
oder man stößt Möbel um oder verletzt Leute.
Frage: In einem besonders bewegenden
Moment des Films sehen wir den Mann, der wirklich diese Charaktere
vor fünfzig Jahren erschuf. Hatten Sie eine Chance mit ihm über
Ihre Figur zu reden?
Rhys Ifans: Stan Lee! I war so
nervös! Stan Lee ist Gott! Ohne Stan Lee gäbe es keine Echsen. Also
trifft man doch da seinen eigenen Schöpfer. Christen versuchen das
nun schon seit etlichen Jahrhunderten. Es war also
sehr episch für mich! Oh Gott!, Gott trägt eine Brille! Sowas! Er
kam zu mir und hatte bereits ein paar Ausschnitte gesehen und an
diesem Tag war ich gerade geschminkt als Halb-Mensch/Halb-Echse. Er
kam herein und sagte nur „Gute Arbeit!“ Und dann erschien dieses
gleißende grüne Licht im Himmel und ich wusste alles wird gut!
Nein, es hat ihm sehr gefallen. Und ich mag die Szene, in der er zu
sehen ist. Er erscheint ja in jedem dieser Filme in einer
Cameo-Rolle. Aber seine Erlaubnis weiterzumachen war wirklich sehr
wichtig für mich!
Frage: Die Spiderman Comics sind seit fünfzig
Jahren hocherfolgreich, was man nicht von allen anderen
Superheldencomics behaupten kann. Haben Sie eine Erklärung dafür?
Rhys Ifans: Ja, habe ich! Sehen Sie, Batman ist ein
Millionär, der in einer Villa auf einem Hügel lebt, er hat
Bedienstete und eine sehr merkwürdige Beziehung zu einem Jungen
namens Robin. Unser Leben läuft nicht so. Sowohl finanziell wie auch
sexuell... Und Superman ist ja mehr eine Gottheit, ein Mann von einem
anderen Stern. Spiderman geht zur Schule. Spiderman verliebt sich zum
ersten Mal. Peter Parker hat genau so viel Angst vor und genauso
viele Fragen an die Zukunft und daran wie man ein Mann wird, wie
jeder andere Junge auch. Ich denke, das macht es aus! Peter Parker
ist ein Mittelstandsheld. So finden sich fast alle in ihm wieder. Und
seine Superheldenkräfte sind fast so etwas wie Metaphern für das
Überwinden der Teenager-Ängste.
Frage: Konnten Sie Ihrer Figur selbst etwas
mitgeben oder war alles vorgegeben?
Rhys Ifans: Doch. Das kann man.
Auf einem sehr unterschwelligen Level. Ich habe in mir selbst
ein paar sehr schwierige Plätze aufgesucht im emotionalen Bereich.
Da ist eine Wut in Dr. Connors, die uns darauf hinweist, dass ich,
dass wir alle potentielle Reptilien sind in unserer eigenen
Kaltblütigkeit. Die Echse verkörpert dies. Da gibt es eine Seite in
unserer menschlichen Natur, die ist sehr, sehr hässlich. Und diese
Seite gebiert Diktatoren und beginnt Kriege, ist gewalttätig. Und
vor dieser Seite sollten wir alle immer auf der Hut sein.
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